Predigt von Nuntius Eterovic am 5. Fastensonntag

Apostolische Nuntiatur, 7. April 2019

(Jes 43,16-21; Ps 126; Phil 3,8-14; Joh 8,1-11)

Passionssonntag

„Ich habe kein Gefallen am Tod des Schuldigen, sondern daran, dass ein Schuldiger sich abkehrt von seinem Weg und am Leben bleibt“ (Ez 33,11).

Liebe Schwestern und Brüder!

Der Ruf zum Evangelium aus dem Buch des Propheten Ezechiel an diesem 5. Fastensonntag, der dem Palmsonntag vorangeht, mit dem die Heilige Woche, die Karwoche beginnt, drückt den Heilswillen JHWH’s für die sündigen Menschen aus. Dieses Wort führt uns gut in das Wort Gottes ein, das uns die Kirche heute vorlegt. Der Prophet Ezechiel nimmt die Lehre des Herrn Jesus vorweg, der mit Nachdruck unterstrichen hat: „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, um Gerechte, sondern Sünder zur Umkehr zu rufen“ (Lk 5,31-32). Und an anderer Stelle versichert er: „Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist“ (Lk 19,10).

Dieser Heilswille, der in der ersten Lesung verkündet wird (I), bekommt ein konkretes Beispiel in der Begegnung Jesu mit der sündigen Frau im Tempel von Jerusalem (II), wie auch in der Bekehrung des Heiligen Paulus (III). Indem wir uns dem Heiligen Geist öffnen, denken wir über diese Themen nach.

1. „Siehe, nun mache ich etwas Neues“ (Jes 43,19).

Der Prophet Jesaja wendet sich an das jüdische Volk in der Zeit der babylonischen Gefangenschaft (597-539 v.Chr.). In diese verzweifelte Situation hinein verkündet der Prophet im Namen JHWH’s Hoffnung. Diese gründet sich nicht allein in den Großtaten, die der Gott Israels vollbracht hat, als er sein Volk aus der Knechtschaft Ägyptens befreite. Erneut hat Gott sein Erbarmen mit den Juden gezeigt, die weit weg von ihrer Heimat ihr Dasein fristen und die er durch ein erneutes Wunder aus der babylonischen Gefangenschaft befreien wollte. Der Gott Israels ist kreativ. Er ist offen für neue Möglichkeiten, findet neue Wege für sein Volk. Daher ermahnt er: „Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, achtet nicht mehr! Siehe, nun mache ich etwas Neues“ (Jes 43,18-19). JHWH wird in der Wüste eine Straße anlegen und Flüsse in der Steppe fließen lassen. Er wird sein Volk in das gelobte Land zurückführen.

In dieser Fastenzeit lassen uns die Prophetie des Neuen, das Gott für uns machen will, die wir Glieder seines Volkes sind, und das Symbol des Wassers an das Ostergeheimnis denken, das eine neue, unerwartete Schöpfung ist. Damit erschafft Gottvater durch den Tod und die Auferstehung Seines Sohnes Jesus im Heiligen Geist eine zweite Schöpfung, die noch schöner und vollkommener als die erste ist. Hieran nimmt alles Lebendige teil, so auch der Mensch, die Krone der Schöpfung und Erlösung.

2. „Auch ich verurteile dich nicht“ (Joh 8,11).

In diese Perspektive der Befreiung und der neuen Schöpfung gehört Jesus im heutigen Evangelium. Er heilt „eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war“ (Joh 8,3) an Leib und Seele, obwohl sie nach dem Gesetz des Alten Testamentes hätte sterben müssen. In Übereinstimmung mit der Güte und Barmherzigkeit Gottes übersteigt Jesus die Vorschriften des Gesetzes und besiegt die Gegnerschaft der Schriftgelehrten und Pharisäer, welche die Frau steinigen wollten. Mit der Frage: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie“ (Joh 8,7) hat Jesus zunächst die Herzen der Anwesenden entwaffnet und sodann ihre Hände, die bereit waren, die Höchststrafe zu vollziehen. Jesus kannte die Menschen, konnte in ihren Herzen lesen und wußte daher, daß alle Sünder waren, angefangen bei den Alten. Weil sie schon lange lebten, hatten sie auch mehr gesündigt. Als sie mit der persönlichen Verantwortung konfrontiert wurden, „ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten“ (Joh 8,9). Auf diese Weise wurde die Sünderin physisch gerettet. Sie wurde dank der großen Weisheit Jesu befreit, ohne daß er den Vorschriften des Gesetzes widersprochen hätte. Das aber genügt Jesus nicht. Nach der Rettung des Leibes wollte er eine noch wesentlichere Befreiung und Rettung bewirken, nämlich jene der Seele. Daher sagt Jesus, nachdem im Gespräch festgestellt worden war, daß niemand die Frau verurteilt hat: „Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr“ (Joh 8,11).

In dieser Fastenzeit gilt die Aufforderung Jesu: „sündige von jetzt an nicht mehr“ uns allen. Wir aber wissen, daß Jesus in seiner großen Barmherzigkeit das Sakrament der Versöhnung eingesetzt hat, damit alle Sünder, wir alle, dadurch die Gnade der Vergebung erlangen und unseren christlichen Lebensweg mit neuer Kraft verfolgen können. Der Empfang des Bußsakramentes empfiehlt sich besonders zur Vorbereitung auf das Hochfest von Ostern. Mit dem auferstandenen Herrn dürfen auch wir zum neuen Leben auferstehen.

3. „Ich halte dafür, dass alles Verlust ist, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, alles überragt“ (Phil 3,8).

Der Heilige Paulus bezeugt mit seinem eigenen Leben wie mit seinen Schriften, die Teile des Neuen Testamentes sind, die Tat der Befreiung des gestorbenen und auferstanden Jesus Christus. Saulus wurde die Erfahrung der Begegnung mit dem auferstandenen Herrn auf dem Weg nach Damaskus geschenkt und hat daraufhin sein Leben grundlegend geändert. Er hat die Größe der christlichen Berufung im Vergleich mit vielen der formalen und äußerlichen Vorschriften des Gesetzes entdeckt. Daher schreibt er voller Enthusiasmus: „Ich halte dafür, dass alles Verlust ist, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, alles überragt. Seinetwegen habe ich alles aufgegeben und halte es für Unrat, um Christus zu gewinnen und in ihm erfunden zu werden. Nicht meine Gerechtigkeit will ich haben, die aus dem Gesetz hervorgeht, sondern jene, die durch den Glauben an Christus kommt, die Gerechtigkeit, die Gott schenkt aufgrund des Glaubens“ (Phil 3,8-9). Nunmehr ist der gestorbene und auferstandene Herr Jesus Christus das Modell des Paulus, das Ziel seines Lebens. Er ist sich bewußt, während des irdischen Lebens wird keine Vollkommenheit erreicht, strebt aber danach, „es zu ergreifen“ (Phil 3,12). Daher ist der Völkerapostel entschlossen, den Weg weiter voranzuschreiten: „Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist. Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem Siegespreis: der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus“ (Phil 3,13-14).

Liebe Brüder und Schwestern, folgen auch wir dem Heiligen Paulus auf diesem Weg zur Zukunft, zur Fülle Jesu Christi, der auferstanden ist und in seiner Kirche gegenwärtig, vor allem in der Feier der Sakramente, unter denen die heilige Eucharistie einen hervorragenden Platz einnimmt. Vertrauen wir unsere Vergangenheit, die aus Sünden und der Absicht, gute Werke zu vollbringen, zusammengesetzt ist, der Barmherzigkeit Gottes an und ergreifen wir seine Gnade, die allein imstande ist, uns zu bekehren und zu neuen Menschen zu machen, neugeboren aus dem Wasser der Taufe und dem Feuer des Heiligen Geistes.

Die Jungfrau Maria, die Mutter Jesu und der Kirche, begleitet uns mit ihrer mächtigen Fürsprache auf diesem Weg. Sie, die „voller Gnade“ (Lk 1,28) ist, hat die Schöpferkraft unseres Gottes, der bereit ist, „etwas Neues zu machen“ (Jes 43,19), erfahren. In der „Fülle der Zeit“ (Gal 4,4) ist geschehen, daß sich durch sie die Verheißung der Geburt des Messias erfüllt hat. Sie möge uns helfen, Geist und Herz zu öffnen, um auch in unseren Zeiten damit zu rechnen, daß Gott den Willen hat, große Werke der Befreiung von jeglicher Knechtschaft zu vollbringen, besonders von der unserer Sünden und jener der Welt. Amen.

 

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